Ich mag Politiker*innen und das ist auch gut so.
Wider die Politikverdrossenheit
Ein politikverdrossener Gottesdienst
Meine persönliche Tiefpunkt-Erfahrung in Sachen Politikverdrossenheit musste ich am vergangenen Wochenende an einem Ort machen, an dem ich mir genau diese Verdrossenheit eigentlich am wenigsten wünsche: bei einem Gottesdienst.
„Wir haben eine neue Regierung. Bitten wir, dass sie unser Land wenigstens nicht schlechter regiert als die alte. Herr erbarme dich!“, lautete da eine Fürbitte.
Was soll das? Liebt Gott etwa Sarkasmus? Ich glaube nicht! Vor allem aber meine ich, dass Fürbitten nicht der Ort für politische Statements sein sollten.
Zudem sollte ein Gottesdienst aufbauen und nicht herunterziehen.
Vor lauter Ärger über das „Bodenpersonal“ hätte ich diese Abendmesse gerne vorzeitig verlassen – auch als Gegenstatement. Das wäre aber ebenso falsch gewesen wie die Fürbitte selbst.
Politikverdrossenheit ist keine Perspektive
Auch wenn die Anzahl der Protestwähler*innen und Wutbürger*innen in meinem Bekanntenkreis relativ überschaubar sein dürfte, nehme ich dennoch wahr, dass die Politikverdrossenheit auch in meiner Umgebung zunimmt. Die immer derbere Sprache bei „politischen“ Äußerungen im Social Web ist eine Seite davon, Menschen, die schon abwinken, wenn man das Thema Politik nur streift, die andere.
Ich allerdings empfinde Politikverdrossenheit nicht als Perspektive. Daher möchte ich ihr einige Argumente entgegenstellen:
1. Menschen sind verschieden, Politiker*innen auch!
„Die Politiker kannst du alle vergessen!“ – Wer ist mit einer solchen Aussage eigentlich gemeint? Die in Berlin? Die Merkel? Das Kabinett? Der Bundestag? Der Landtag? Der Stadtrat? Der Marktrat?
Wer sich die Mühe macht, den Politikbetrieb nicht als Einheitsbrei zu betrachten, wird feststellen, dass die Spezies „Politiker*innen“ durchaus vielfältig daherkommt. Sicher mag es darunter manche Totalausfälle geben. Andere Exemplare lassen tatsächlich die Bodenhaftung vermissen. Doch ein großer Teil der Politiker*innen leistet mit Leidenschaft ausgezeichnete Arbeit für unser Land. Auch wenn es manchmal mühsam ist: Genauer hinzuschauen lohnt sich.
2. Ich kenne richtig echte Politiker*innen!
Das beste Rezept gegen Politikverdrossenheit ist der direkte Kontakt zu Politiker*innen. Ich selbst habe im Bekanntenkreis einige äußerst engagierte Kommunalpolitiker*innen, die sich den Hosenboden aufreißen, um vor Ort Verbesserungen zu erreichen. Ich kenne junge Erwachsene, die selbst in etablierten Parteien noch Steine ins Rollen bringen wollen. Auch einigen Landespolitiker*innen durfte ich in letzter Zeit begegnen.
Vielleicht ist genau solch ein Kontakt für Randgruppen und abgekoppelte Menschen häufig nur schwer möglich, was ein bedauerliches Problem ist.
Doch Gelegenheiten zur Begegnung gibt es gerade in der Kommunalpolitik reichlich. Oft genug findet sich eine Chance, um Politiker*innen zu begegnen und eigene Anliegen einzubringen.
Auch das SocialWeb bietet vielfältige Möglichkeiten, Politiker*innen einfach und unkompliziert zu erreichen. Direkter Kontakt lohnt sich. Einfach mal ausprobieren!
3. Und was bitte genau soll jetzt diese Verdrossenheit bringen?
Wenn man sich mit aller Energie monate- oder jahrelang abzappelt und nichts erreicht, folgt früher oder später die Resignation. Das ist traurig und verständlich zugleich. Ebenso ist es für mich nachvollziehbar, wenn gesellschaftliche Randgruppen resignieren, weil ihre Interessen schon zu lange nicht beachtet werden.
Allerdings habe ich nicht den Eindruck, dass der Großteil derer, die ihre Verdrossenheit oftmals lautstark zum Ausdruck bringen, auch zur Gruppe der Betroffenen gehören.
Verdrossenheit ist daher alles andere als eine Lösung.
Sie entwickelt kein kreatives Potential. Sie liefert keine Alternativen und keine neuen Lösungsideen.
Was Resignation kann: Sie kann den Karren immer weiter in den Dreck ziehen.
Sie kann Hass schüren und die Gesellschaft spalten.
Genau deshalb ist Resignation niemals ein Weg, sondern immer nur eine Sackgasse!
4. Schon mal mitgemacht?
Meckern ist herrlich einfach. Ganz schnell schafft es ein (trügerisches) Verbundenheitsgefühl mit anderen, die ebenfalls gerne schimpfen und grölen. Aber: Meckern bringt nichts, Anpacken schon.
Deshalb würde ich mir wünschen, dass viele, die gerne stänkern und mosern, wenigstens einmal den Versuch unternehmen, sich einzubringen. Es muss ja nicht gleich der Eintritt in eine Partei sein. Es gibt viele Möglichkeiten, Politik mitzugestalten: Bürgerinitiativen, Online-Petitionen, die Teilnahme an Demonstrationen oder der Kontakt zu Politiker*innen via Facebook, Instagram und Co.
5. Alle auf den Hosenboden, auch die Politiker*innen!
Den Ball nur den Verdrossenen und Verbitterten zuzuschieben, ist zu einfach gedacht.
Es gibt etliche nachvollziehbare Gründe, warum Menschen sich vom gegenwärtigen politischen System nicht ausreichend beachtet oder vertreten fühlen. Deshalb müssen sich alle auf den Hosenboden setzen. Politiker*innen haben dabei große Aufgaben im Gepäck. Bürgernähe, Basisdemokratie und alternative Formen der Beteiligung sind nur einige Aspekte, die mehr Beachtung finden müssen.
Einfach mal Danke!
Am Ende soll aber vor allem ein herzliches „Danke!“ stehen.
Danke an alle, die sich in der Politik engagieren – vom Gemeinderat bis zum Bundespräsidenten.
Danke an alle, die ihr politisches Amt mit viel Leidenschaft und Ideenreichtum bekleiden und dabei reichlich Gegenwind und Unmut aushalten. Ihr macht einen wertvollen und wichtigen Job! Ich jedenfalls mag Politiker*innen; nicht alle, aber die meisten.